Wandern: Mythen und Vorurteile
Ich begegne immer wieder Vorurteilen, Mythen, Missverständnissen, Unwissen und Ängsten gegenüber Wandern. Hier also eine Sammlung verschiedener Dinge, von denen ich gehört habe und meine Einschätzung dazu. Ich versuche die Liste laufend zu aktusliesieren und zu erweitern.
Inhalt
Allgemeines
Wandern ist langweilig.
Tatsächlich hat das Gehirn beim Gehen ordentlich zu tun. Alleine deswegen langweilen wir uns nicht beim Laufen, Gehen, Joggen oder Wandern.
Davon abgesehen gibt es auf einer Wanderung genug zu sehen, besonders wenn man in schöner Landschaft unterwegs ist. Zusammen mit tollen WanderpartnerInnen ist Langeweile ausgeschlossen.
Wandern ist einfach, man läuft einfach nur rum.
Nein.
Sobald man im Wald zur Seite schaut und dabei weiter läuft, liegt man im Nu auf dem Boden.
Wandern erfordert – je nach Terrain – volle Aufmerksamkeit.
Wandern? Für solche Expeditionen habe ich zu wenig Erfahrung.
Wandern ist nicht gleich wandern. Nach meiner Einschätzung sind die meisten offiziellen Wanderwege eher leicht bis sehr leicht. Erst bei Wanderwegen mit einem SAC-Grad über T1 (= normales Wandern), wird es spannend und anspruchsvoll.
Eine Wanderung muss auch nicht mehrere Tage dauern, auch eintägige Wanderungen sind Wanderungen.
Wandern ist nur was für alte Menschen.
Ganz im Gegenteil! Nicht nur Kinder haben in der Regel Spaß im Freien, auch für junge Erwachsene ist Wandern definitiv etwas.
Ich bin zu alt zum Wandern.
Auch das stimmt nicht. Neben vielen jungen Menschen, Familien und Wandergruppen, begegnen mir auch immer wieder Rentner, die anspruchsvolle Touren absolvieren.
Ich bin zu unsportlich/untrainiert zum wandern.
Man muss nicht komplett durchtrainiert sein, um wandern zu können. Wie bereits erwähnt, sind die meisten markierten Wanderwege relativ einfach und in deiner Gegend gibt bestimmt auch Wanderwege von passender Schwierigkeit und Länge für dich.
Wandern ist entspannend/meditativ.
Nein.
Bei schönem Wetter auf einem mittel-leichten Wanderweg durch schöne Landschaft – vielleicht.
Das ist jedoch eher selten der Fall, vor allem, wenn man häufiger und länger (über mehrere Tage) wandern geht.
Geht man das Thema (mehrtägiges) Wandern ernsthaft an, sollte man sich daran gewöhnen etwas zu leiden und es auch lieben zu lernen. Ich persönlich gehe mittlerweile am liebsten bei Regen und <10 °C wandern – dann sind kaum andere Menschen unterwegs und es ist etwas anspruchsvoller.
Da draußen sind viele Psychopathen unterwegs.
Das ist mir auf Reddit begegnet und in den USA scheint das ein klassisches Vorurteil zu sein. Es gibt natürlich komische Menschen da draußen und vielleicht in den USA mehr als hier (nur eine Vermutung aufgrund der Reddit-Reaktionen), aber abseits von Reddit habe ich davon noch nie gehört.
Heute ist das Wetter zu schlecht zum Wandern.
Es gibt kein schlechtes Wetter, nur unpassende Kleidung! Dennoch ist es vielleicht keine gute Idee während eines Orkans im Wald zu wandern ;)
Niemals alleine wandern gehen!
Kommt auf einige Faktoren an: Erfahrung, Gegend, Erreichbarkeit des Notrufs, Qualität der Ausrüstung und Vorbereitung. Traut man sich eine (längere) Wanderung alleine zu und hat man sich entsprechend vorbereitet, dann kann man auch alleine Wandern gehen. Aber natürlich, in der Gruppe ist es sicherer.
Im Zelt übernachten ist schei*e.
Wenn du solch eine Erfahrung gemacht hast, hast du etwas falsch gemacht. Ein Zelt ist kein 5-Sterne-Hotel, aber auf seine eigene Art und Weise eine wunderbare Unterkunft.
Ausrüstung
Wandern ist kostenlos.
Theoretisch stimmt das. Theoretisch.
Aber: Nicht nur muss man irgendwie hin und weg kommen, ggf. braucht man entsprechende Ausrüstung.
Dazu kommen allerlei nicht notwendige Ausgaben für Restaurants, Cafés, Souvenirs, Schwimmbad, Sauna, …
Nur Anfänger und kranke Menschen nutzen Wanderstöcke.
Gerade erfahrene Wanderer wissen die Vorteile zu schätzen (verbesserte Trittsicherheit, Verteilung des Gewichts, Schonung der Gelenke, etc.) … auch, wenn es teilweise etwas dämlich aussieht.
Qualität hat ihren Preis: Die 850 € für diese Winterjacke sind definitiv gerechtfertigt.
Kein Witz, die Therme SV Parka Winterjacke für Herren von Arc’teryx kostete zum Zeitpunkt dieses Artikels 849,95 € bei Globetrotter.
Hochwertige Ausrüstung wird überschätzt.
Viele denken dabei eher an teure Ausrüstung. Je hochwertiger die Ausrüstung, desto besser, teuer muss das nicht immer sein. Die meisten Marken sind überbewertet und überteuert.
Ohne Profi-Equipment braucht man gar nicht erst anzufangen.
Viele verwechseln wandern mit Bergsteigen oder Expeditionen. Auch mit normaler Kleidung und wenig Ausrüstung kann man wandern. Ich selbst mache z.B. Tagestouren in Alltagskleidung, nur meine Wanderschuhe mit vernünftigen Socken dürfen nicht fehlen.
Verpflegung
Ach, die kleine Flasche Wasser reicht bestimmt.
Nein.
Egal ob Winter oder Sommer, nimm lieber etwas mehr Wasser mit – gerade im Sommer!
Spezielle Outdoor-Nahrung wird überschätzt.
In Plastiktüten verpackte Fertignahrung? Vielleicht. Allgemein auf Outdoor-Aktivitäten zugeschnittene Nahrung? Definitiv nicht.
Instant-Nudeln reichen mir.
Für einen Tag vielleicht, aber gerade bei längeren Touren möchte man schnell was Richtiges zu beißen haben.
Auf längeren Touren bekommt man Mangelerscheinungen.
Wenn überhaupt, kann ein Mangel an Magnesium zu Krämpfen führen, das wars aber auch schon und lässt sich ja leicht behandeln/vorbeugen.
Kleidung
Ich habe ja meine Regenjacke mit, also werde ich nicht nass.
Haha, doch, du wirst nass.
Der Begriff “wasserdicht” suggeriert, dass das Material komplett wasserdicht ist – ist es aber nicht. Regenjacken haben eine gewisse Wassersäule, aber wandert man einen ganzen Tag im Regen, ist man danach nass. Nicht überall und vielleicht nur ein bisschen an den Nähten der Jacke, aber nass.
Schafs-, Merino-, Baum- oder Alpaka-Wolle? Wolle ist Wolle.
Nein!
Im Englischen gibt es den Spruch cotton kills, also Baumwolle tötet.
Verglichen mit echter Wolle bietet Baumwolle bei Nässe keine Isolation mehr.
Unterschiede zwischen den anderen Wollarten gibt es zudem auch noch, die auf jeden Fall Baumwolle vorgezogen werden sollten.
Ohne mein atmungsaktives Funktions-Merino-Viskose-Shirt gehe ich nicht aus dem Haus.
Alle Materialien haben Vor- und Nachteile, die meiste Funktionskleidung hat aber vor allem tolle Effekte fürs Marketing und sind nicht immer nötig.
Navigation
Eine Papierkarte? Ich hab doch meine Wander-App.
Nur solange du Strom hast und leider hat nicht jeder Baum eine Steckdose.
Moos wächst immer nach Norden und Flüsse fließen immer nach Süden.
Das mit dem Moos stimmt teilweise, aber auch nur auf der Nordhalbkugel und nur weiter weg vom Äquator und auch eigentlich nur, weil Moos feuchtes Klima mag. Und das mit den Flüssen ist quatsch.
Tier- und Pflanzenwelt
So ziemlich alles will einen umbringen.
Ganz im Gegenteil: Das meiste da draußen hat Angst, dass du es gleich umbringen wirst.
In Deutschland gibt es Wölfe, ich gehe keinen Meter mehr nach draußen.
Seit der Wolf zurückgekehrt ist (also seit ca. 2000/2001), gab es nach Angaben des WWF seit dem keinen tödlichen Angriff auf Menschen. Die meisten Menschen werden nie in ihrem Leben einen wilden Wolf zu Gesicht bekommen.
Ähnlich verhält es sich mit Bären, Schneelöwen und ähnlichem: Gehe nicht auf wilde Tiere zu, weiß, wie man sich verhält (wann man wegrennt, wann man schreit usw.), dann wird sehr wahrscheinlich nichts passieren.
Sicherheit
Auf einem markierten Weg kann eigentlich nichts passieren.
Selbst für eine Wanderung auf leichten Wegen sollte man sich vorbereiten. Man sollte mindestens die Gegend ungefähr kennen, wissen wie man wieder zurück kommt und wo schwierige Stellen sind. Zu wissen wo (bewirtschaftete) Hütten, Bauernhöfe, Straßen oder Siedlungen sind, kann im Notfall ebenfalls hilfreich sein.
Ein Erste-Hilfe-Set brauche ich doch beim Wandern nicht.
Hoffentlich nicht, aber wer weiß. Was kostet es schon zumindest ein kleines Erste-Hilfe-Set dabei zu haben? Meist ist auch eine Zeckenzange dabei, die definitiv hilfreich sein kann.
Man kann einfach den Notruf absetzen, die retten einen dann.
Der Notruf ist kein Taxi-Service!
Eine Handyortung ist auch nicht garantiert und gerade eine Rettung aus nicht befahrbaren Gebieten ist mit ungeheurem Aufwand (und ggf. Kosten!) verbunden.
Beuge durch sorgfältige Planung und Achtsamkeit einem Notfall vor!
Ohne Pfefferspray/Bärenglocken/Schreckschusspistole/… gehe ich nicht raus.
Man muss – vor allem in hiesigen Breitengraden – auch nicht übertreiben. Gerade Bärenglocken, können aber einen gegenteiligen Effekt haben und Tiere neugierig machen. Wildtiere bemerken Menschen in der Regel sehr früh und verschwinden, noch bevor wir sie bemerken.